Exclusive Leseprobe – Jenseits des Kaps

Prolog

Ein kalter Windzug schlich sich in ihre am Hals geöffnete Daunenjacke. Tansey Januarie lief ein Schauer über den Rücken und sie beeilte sich, den Reißverschluss bis unter das Kinn hochzuziehen. Der Winter schickte seine frostigen Vorboten in das Elgin-Tal. Bald würden die ersten Regenschauer kommen. Schon jetzt meinte sie, die anrückende Feuchte in der Luft zu riechen. Tansey ärgerte sich, dass sie sich nur Plakkies angezogen hatte. Die nackten Zehen in den offenen Schuhen würden heute Nacht, wenn sie zurückkam, sicher kalt wie Eis sein. Überhaupt sahen die Flipflops zu den orange-roten Hosen ihrer Parteiuniform albern aus. Feste Armeestiefel wären die passendere Wahl gewesen. Der Wind hatte mittlerweile ein anderes Opfer gefunden und spielte mit den Ästen der über ihr aufragenden Apfelbäume. Ein empörtes Knarzen des alten Holzes war die Antwort.

Aus Richtung der Farm hörte sie das kurze dumpfe Bellen einer der Hunde. Das machte ihr keine Angst. Diese Hunde kannten sie, seitdem sie klein war, und bedeuteten keine Gefahr für sie. Anders verhielt es sich mit den Tieren des Nachbarfarmers. Sie musste vorsichtig sein, dass sie im Dunkeln nicht eine falsche Abzweigung nahm. Heute hatte sie bewusst den Weg zwischen den Bäumen gewählt, anstatt die mit Kies belegte Zufahrtsstraße entlangzugehen, um möglichst unbemerkt von der Farm zu schleichen. Umso schwieriger war es, den richtigen Weg zu finden und nicht auf dem Gebiet der Nachbarfarm zu landen. Die zwei großen Boerboels von Robey de Beer würden sich darüber freuen. Tansey schüttelte sich. De Beer verkörperte alles, was sie hasste. Sie war sich sicher, dass er seine Viecher auf Schwarze abrichtete. Wie sonst ließe sich erklären, dass die mächtigen Kiefer seiner Boerboels nur schwarze Opfer fanden? Sie ballte die Fäuste und stimmte leise das verbotene Lied »Tötet die Buren« an. Wenn ihr Vater es hören würde, würde er sie aus dem Haus jagen. Der alte Januarie hielt viel von Zef Strauss, auf dessen Farm ihre Familie seit über dreißig Jahren in einem kleinen Haus lebte. Er träumte immer noch von der Regenbogennation, der alte Narr. Als sie ihn zu einer der Versammlungen ihrer Partei mitnehmen wollte, hatte er sich geweigert. Wieso wollte ihr Vater nicht verstehen, dass die Weißen kein Recht hatten, das afrikanische Land zu besetzen? Warum beharrte er darauf, dass viele Farmer seit Generationen hier lebten und daher Südafrikaner waren? Kak, nein! Den Schwarzen gehörte das Land! Das hatte der Commander-in-Chief gesagt. Aber seine Freunde beim ANC hörten nicht auf ihn. Seit Jahren blockierten sie das Gesetz zur Landreform. Heute Nachmittag hatte der Kongress endlich ein Gesetz dazu verabschiedet. Aber was war das wert? Auf den ersten Blick könnten die Enteignungen jetzt endlich vorangehen. Tansey hatte dazu eine andere Meinung: Das war nur Stimmungsmache für die Wahlen im August. Die Regierungspartei hatte Angst vor den neuen, starken Anführern der anderen und wollten sich so wieder als Vertreter der Schwarzen präsentieren.

Alles Augenwischerei. Warum schrieb das neue Gesetz vor, dass die Farmer bei der Enteignung entschädigt werden sollten? Das zeigte wieder, wie weich und korrupt die Regierung war. Schlimmer noch, sie gingen gegen ihre eigenen Leute vor. Gerade vorletzte Woche hatte die Polizei hier ganz in der Nähe eine Siedlung von Schwarzen niedergerissen. Dabei hatten die sich doch nur das genommen, was ihnen zustand: ein Stückchen Land für die Familie. Heute Abend würde Tansey mit den Kameraden darüber beraten, wie sie jetzt weiter vorgingen. Ohne darauf zu warten, dass der korrupte Präsident in ein paar Wochen vielleicht dem neuen Gesetz zustimmte.

Tansey hatte sich auf heute Abend vorbereitet. Analysiert, warum die Landnahmen in Grabouw auf so viel Widerstand durch die Regierung gestoßen waren. Wahrscheinlich war der Fehler bei der Landnahme gewesen, dass es sich um öffentliches Land handelte. Natürlich setzte die Regierung da ihre Anti-Land-Invasion Unit ein. Aber wenn es privates Land wäre? In Stellenbosch und anderen Gegenden hatten Parteifreunde ihre Anhänger ermutigt, brachliegendes Farmland für ihre Shacks zu nehmen. Die einfachen Wellblechhütten standen da mittlerweile seit Monaten und niemand machte Anstalten, die Farmer bei der Räumung zu unterstützen. Tansey hatte auch schon eine Idee, wo sie geeignetes Land finden konnten.

Der langsam anschwellende Schrei eines Kaptriels holte sie aus ihren Gedanken. Wahrscheinlich strich einer der Hunde durch das hohe Gras und hatte den kleinen braun-weißen Laufvogel aufgeschreckt.

Er weint über alles, was wir verloren haben, dachte Tansey und hielt kurz inne, um nach dem Tier zu suchen. Erneut strich ein kalter Windzug über sie. Ich sollte mich besser beeilen. Wahrscheinlich steht Danie schon an der Straße und wartet auf mich.

Es dürften nur noch ein paar Hundert Meter sein, bis der Pfad zwischen den Apfelbäumen auf die Zufahrtsstraße zu der Farm mündete. Von da waren es nur noch ein paar Meter bis zur Appletiser Road mit dem aus gelblichem Sandstein gemauerten Namensschild der Farm, welches Besuchern den Weg wies. Vor ihr tauchten die schlanken Umrisse der Zypressen auf, die schon der erste Eigentümer als elegantes Empfangskomitee für seine Gäste gepflanzt hatte und die die Zufahrtsstraße bis zum alten Farmhaus säumten. Sie hörte Kies unter Reifen spritzen. Kurz darauf wurden die Bäume durch vorbeigleitende Scheinwerfer beleuchtet. War Danie des Wartens müde und war ihr ein Stück von der Straße entgegengefahren? Normalerweise war er zurückhaltender. Für einen Regional Secretary der Partei eher ungewöhnlich, achtete er normalerweise darauf, fremdes Land nicht ohne Einladung zu befahren.

Es liegt sicher daran, dass ich heute so spät dran bin, sinnierte Tansey. Es gibt viel zu besprechen und die wenigsten von uns haben Lust, sich die ganze Nacht um die Ohren zu schlagen, da sie morgens wieder früh raus müssen. Hastig schob sie ihren schmalen Körper zwischen zwei Zypressen auf den Kiesweg. Sofort leuchteten zwei Scheinwerfer auf und blendeten sie.

»Jissis, Danie! Mach die Lichter aus, ich kann nichts sehen!« Sie kniff die Augen zusammen, um etwas zu erkennen, aber das Fahrzeug zeichnete sich nur schemenhaft ab.

Der Motor heulte laut auf und der Kies spritzte nach allen Seiten, als das Fahrzeug auf sie zuraste. Sie merkte noch, dass das Auto sie, einem wilden Stier in der Arena gleich, hochschleuderte. Ihr Bewusstsein blieb am Boden zurück und beobachtete ihren Körper, der in Zeitlupe durch die Luft flog und mit einem dumpfen Krachen auf dem Farmschild aufschlug. Die Dunkelheit umschloss ihren Geist und trug ihn fort. Sie hörte nicht mehr, dass eine Autotür zuschlug und jemand mit langen knirschenden Schritten auf sie zulief.

Im Licht der Scheinwerfer beugte sich eine Gestalt über den Körper des Mädchens. Ein Rinnsal von rotem Blut bahnte sich den Weg in Richtung der Straße. Aus der Ferne weinte der Kaptriel um die nächste verlorene Seele.